„Wiederkehrende beeinträchtigende, mittelschwere bis schwere Kopfschmerzen sind bis zum Beweis des Gegenteils eine Migräne…“
Dieser Merksatz für jene, die im Dschungel der Kopfschmerzdiagnosen noch nicht so heimisch sind, enthält schon viele chrakteristische Aspekte der Migräne.
Erstens ist die Migräne häufig. So häufig, dass wiederkehrende mittelstarke bis starke Kopfschmerzen meistens auf eine Migräne zurückzuführen sind.
In Zahlen ausgedrückt leiden weltweit ungefähr 13% der Bevölkerung an Migräne. In Östereich sind das mehr als 1 Million Menschen.
Meist beginnt die Migräneerkrankung im Jugendalter, Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Der Häufigkeitsgipfel liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, wobei in diesem Zeitraum Frauen etwa dreimal häufiger als Männer betroffen sind. Trotzdem ist die Migräne auch bei Männern immer noch eine häufige Erkrankung.
Es handelt sich dabei um eine chronische Erkrankung, die über viele Jahre bis Jahrzehnte besteht, allerdings mit „fluktuierendem“ Verlauf. Das heißt, dass Häufigkeit und Schwere der Kopfschmerzanfälle zeitweise geringer, zeitweise aber auch stärker sein können.
Gelegentlich sind Kopfschmerzen schon seit der Jugend bekannt, aber als Arzt werde ich erst nach Jahren konsultiert, nämlich dann, wenn gerade (wieder einmal) eine schlimmere Phase besteht. Manchmal ist dann die Antwort auf die Frage nach Kopfschmerzen seit der Jugend zunächst negativ, obwohl andere Zeichen eindeutig auf eine Migräne hinweisen. Erst bei genauerem Nachfragen werden dann meist frühere Kopfschmerzen eingeräumt, diese seien aber „normale Kopfschmerzen“ gewesen „wie sie jeder hat…“. Das ist also dieser „fluktuierende Verlauf“, also dass nach bisher glimpflichen Jahren es zu einer Häufung, oder Verstärkung der Kopfschmerzattacken gekommen ist.
Allerdings kommt es auch oft nach einer schlimmen Phase wieder zu einer Abnahme der Attackenfrequenz und der Schwere der Anfälle. Das macht die Beurteilung von vorbeugenden Maßnahmen schwierig und hat zur Folge, dass dazu ein Kopfschmerzkalender geführt werden soll. Auch nachgewiesenermaßen unwirksame Maßnahmen können sonst gelegentlich eine Wirksamkeit vortäuschen.
Der zweite Punkt aus dem oben zitierten Merksatz macht klar, dass Migräne meist „beeinträchtigend“ ist. Manche Menschen, die an Migräne leiden sind daran so gewöhnt, dass ihnen diese Beeinträchtigung gar nicht bewusst ist. Damit ist aber gemeint, dass bei vielen Attacken, Alltagstätigkeiten oder Berufsausübung schwerer fallen, manchmal unmöglich werden. Meine Frage an die Patienten ist dazu: „Gehen Sie bei einem sträkeren Anfall in Krankenstand, oder würden Sie das gerne tun, wenn es leicht möglich wäre?“ Oft wird nämlich irgendwie der Tag absolviert, aber Freude macht er dann meist nicht mehr.
Und der dritte Punkt ist, dass es sich um mittelschwere bis schwere Kopfschmerzen handelt. Allerdings muss nicht jeder Anfall dieses Kriterium voll erfüllen. Insbesondere während einer sehr schweren Attacke werden manchmal die häufigeren Kopfschmerzen als „normale Kopfschmerzen“ erinnert. Erst bei genauerem Nachfragen geben die schmerzgewohnten Patienten dann doch an, dass die auch zumindest mittelstark sind.
Ganz steht aber nach dem ersten plakativen Merksatz („Wiederkehrende, beeinträchtigende, mittelstarke bis starke Kopfschmerzen, sind bis zum Beweis des Gegenteils eine Migräne…“) die Diagnose noch nicht.
Unter „Diagnostik“ ist das Vorgehen gemeint, das zu einer zutreffenden Diagnose führt.
Bei der Diagnostik der Migräne ist die Anamnese (das Erheben der genauen Krankengeschichte im Gespräch mit dem Patienten) das wichtigste Mittel.
Danach ist eine neurologische körperliche Untersuchung vorgesehen. Sie ist unauffällig, oder Auffälligkeiten werden durch andere Erkrankungen oder Störungen erklärt.
Eine MRT (Magnetresonanztomographie) wird optional einmalig durchgeführt. Sie ist zur Diagnosestellung nicht nötig, kann aber zum Ausschluss von morphologischen Veränderungen im Gehirn erfolgen.
Eine allgemeinmedizinische Untersuchung rundet das Bild ab.
Wiederkehrende mittelstarke bis starke Kopfschmerzen, die unbehandelt vier bis 72 Stunden dauern. Der Schmerz ist oft einseitig lokalisiert, kann aber zumindest manchmal die Seite wechseln. Übelkeit, Erbrechen, Licht- oder Lärmempfindlichkeit begleiten zumindest häufig und zumindest in leichter Ausprägung die Kopfschmerzen. Bei manchen Patienten ist die Übelkeit aber ein Hauptproblem. Am besten tut es, wenn man sich ruhig zurückziehen kann. Bei körperlicher Belastung nehmen die Beschwerden oft zu.
Oft kann das Lebensalter bei Beginn der Kopfschmerzen gar nicht mehr angegeben werden. Manchmal liegt es in der Kindheit, oft in der Jugend. Bei Frauen gibt es manchmal einen Zusammenhang mit der ersten Regel, oder die erste Migräneattacke wird nach einer Schwangerschaft erstmals erinnert.
Ebenfalls häufig leiden nahe Verwandte an Kopfschmerzen.
Für die Behandlung der Migräne ist es auch wichtig zu wissen, ob es sich um eine „episodische“ Migräne handelt (weniger als 15 Migränetage im Monat) oder um eine „chronische Migräne“ (mehr als 15 Kopfschmerztage im Monat, wobei nur mindestens 8 die Kriterien der Migräne erfüllen müssen.)
Einige Patienten (um die 30%) leiden schon in den Tagen vor der Migräneattacke unter einer Befindlichkeitsverschlechterung. Typische Vorboten (sog. „Prodromi“ , die Phase heißt „Prodromalphase“) sind Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Heißhunger, oder Nackensteifigkeit.
Besonders die Prodromalsymptome Heißhunger und Nackensteifigkeit verdienen besondere Beachtung. Sie führen nämlich oft zur Vermutung eines kausalen Zusammenhanges, der so nicht besteht.
Der Heißhunger kann auch mit Appetit auf ganz bestimmte Nahrungsmittel z.B. Schokolade verbunden sein. Die Annahme mancher Patienten ist dann, dass das Schokoladeessen die Migräneattacke hervorgerufen hätte. Folgen dieser falschen Annahme können sein, dass sich die Patientinnen schlecht fühlen, weil sie schon wieder so unbeherrscht waren, wo sie doch ohnehin wissen, dass ihnen z.B. Schokolade nicht gut tut. Eine weitere Folge wäre, dass bestimmte Nahrungsmittelunverträglichkeiten als Ursache für die Migräne angenommen werden und dass entweder nach dieser Unverträglichkeit gesucht wird, oder die Diagnose einer Migräne überhaupt bezweifelt wird. Auf diese Weise wird ein strukturiertes, wissenschaftlich begründetes und wirksames Vorgehen manchmal verzögert, oder verhindert. Wie gesagt, ist die Beobachtung, dass auf Heißhunger auf bestimmte Nahrungsmittel eine Migräneattacke folgt, einfach als Folge der Migräneattacke auf ein Prodromalstadium zu erklären.
Die Nackensteifigkeit als Prodomalsymptom führt oft zu der fehlerhaften Annahme von Halswirbelsäulenproblemen oder von „Verspannungen“ als Ursache für die Migräneattacke. Dies um so mehr, als gelgentlich auch der Migränekopfschmerz vom Hinterkopf seinen Ausgang nimmt. Zwar gibt es auch den sogenannten „cervikogenen Kopfschmerz“, also Kopfschmerz von der Halswirbelsäule ausgehend. Aber dieser ist ungleich seltener als die Migräne und hat eine ganz andere Symptomatik. Also wenn die Kriterien einer Migräne (siehe oben) erfüllt sind, dann ist es auch wenn sie mit Nackensymptomen einhergeht eine Migräne und nicht „von der Halswirbelsäule“. Natürlich schützt eine Migräne nicht vor Veränderungen der Halswirbelsäule, die ja auch häufig sind, aber sie sind weder Ursache, noch Auslöser der Migräneattacke. Wieder wäre es ja nicht tragisch, wenn jemand einfach einer falschen Meinung ist, aber es ist schade, wenn dadurch ein strukturiertes, leitliniengerechtes, wissenschaftlich abgesichertes und wirksames Vorgehen verzögert, oder verhindert wird.
Wir haben also bisher die Symptomatik der Migräne besprochen. Wir haben zwischen einer episodischen und einer chronischen Migräne unterschieden und wir haben das Phänomen des Prodromalstadiums, mit seinen Auswirkungen auf die Vorstellungen der Patientinnen gewürdigt.
Nun bleibt uns noch zwischen einer Migräne ohne Aura und einer Migräne mit Aura zu unterscheiden.
Die Aura besteht in einer neurologischen Ausfallssymptomatik und beginnt meist vor den Kopfschmerzen. Die typischen und häufigsten Aurasymptome sind visuell. Damit ist gemeint, dass es zu Gesichtsfelddefekten kommt, zu Blitzen und auch sehr typisch zu sogenannten Fortifikationen. Das sind „Zick-Zack“ Linien meist am Rande des eingeschränkten Gesichtsfeldes. Diese Symptome entwickeln sich (sind also nicht mit einem Schlag da) und klingen meist innerhalb von 5 Minuten bis einer Stunde wieder ab. An Besonderheiten kommen auch andere Aurasymtpome z.B. Schwindel, Sprachstörungen, oder Lähmungserscheinungen bis zur Halbseitenlähmung vor, die auch länger andauern können und dann schon Anlass zu differenzialdiagnostischen Überlegungen sind. Während einfache visuelle Auren recht häufig sind, sind zum Glück schwere lang dauernde Auren selten. Gerade bei den Halbseitenlähmungen gibt es eine familiäre Häufung.
Die Migräne ist, wie oben schon gesagt eine chronische Erkrankung. Das heißt, die Neigung zu Migräneattacken bleibt viele Jahre oder Jahrzehnte grundsätzlich bestehen. Eine Heilung ist nicht möglich.
Trotzdem ist mit einem strukturierten Vorgehen eine wesentliche Verbesserung der Kopfschmerzen und der Lebensqualität zu erreichen.
Grundsätzlich unterscheidet man in der Therapie der Migräne zwischen der Attackentherapie und der Vorbeugung, Prophylaxe.
Ziel der Attackentherapie ist die möglichst rasche Schmerzfreiheit bei einem Migräneanfall. Also eine halbe Stunde nach Einnahme eines Medikamentes dauerhafte Schmerzfreiheit wäre ideal. Das ist manchmal zu erreichen.
Nach zwei Stunden nahezu schmerzfrei zu werden und falls der Schmerz noch einmal zurückkommt mit einer neuerlichen Medikamenteneinnahme wieder erfolgreich zu sein, ist häufig zu erreichen und ist immer noch besser, als einen ganzen Tag, oder zwei, drei Tage starke Kopfschmerzen zu haben.
Das Idealziel der Prophylaxe wäre natürlich, dass man nie wieder einen Migräneanfall hat. Leider ist auch die Erreichung dieses Ziels nicht oft realistisch. Eine Reduktion der Migränetage um 50% wird allgemein als Therapieansprechen gewertet. Zusätzlich sollten die einzelnen Schmerzattacken geringer ausfallen. In Einzelfällen konnte ich aber auch schon als Antwort auf meine Frage nach dem Therapieansprechen die Antwort erhalten:“Herr Dr. was ist Migräne???“
Auch wenn es nicht so ideal abläuft, kann mit einer Reduktion der Migränetage und einer Reduktion der Attackenschwere mittels Prophylaxe und einem guten Ansprechen auf die Akuttherapie in den meisten Fällen eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden.
Nicht-medikamentöse Verfahren werden in der Vorbeugung von Migräneattacken erfolgreich eingesetzt.
Regelmäßiger „aerober“ Ausdauersport hat nachgewiesener Maßen einen positiven Effekt auf den Verlauf der Migräne. Damit ist gemeint, dass man dreimal wöchtenlich oder öfter, dreißig Minuten oder länger sich so bewegt, dass man sich anstrengt, vertieft atmet, schwitzt. Also z.B. Laufen, Radfahren, usw.
Akupunktur hat Wirksamkeit in der Vorbeugung von Migräneattacken gezeigt.
Nikotinkarenz ist auch bei Migräne günstig.
Im individuellen Fall können auch weitere Lebensstilmaßnahmen günstig sein. Z.B. gibt es die „Wochenendmigräne“. Das sind Migräneattacken, die in typischer Weise nach einer Phase der Anstrengung oder des Stress, wenn man sich dann ausschlafen kann, also meist am Wochenende, nach einem langem Schlaf auftreten. Hier kann es helfen, den Schlafrythmus der anstrengenden Woche beizubehalten. Also weder später ins Bett zu gehen, noch später aufzustehen. Wenn das Ausschlafen aber besonders wichtig ist, kann auch zur gewohnten Zeit der Wecker gestellt werden. Man kann kurz aufstehen und danach noch einmal weiterschalfen. Auch diese Maßnahme hilft manchen.
Einige nichtmedikamentöse Methoden können auch in der Behandlung der Kopfschmerzattacke hilfreich sein. Sie beschränken sich aber meist auf den Rückzug in einen abgedunkelten Raum. Schlaf kann hier helfen. Ein kalter Waschlappen auf die Stirn ist manchmal schon ein persönliches Bedürfnis. Die Schläfen mit Pfefferminzöl einzureiben ist zwar vor allem in der Behandlung des Spannungskopfschmerzes etabliert, kann aber im Einzelfall auch bei der Migräne hilfreich sein. Koffein kann individuell sehr hilfreich sein (z.B. ein- zwei zusätzliche Tassen Espresso).
Eine Vielzahl von möglichen Mitteln können sich insgesamt also positiv auf den Verlauf der Migräne und der akuten Kopfschmerzattacke auswirken. Aus meine Sicht die Wesentlichsten sind der aerobe Ausdauersport und eine gewisse Regelmäßigkeit in der Lebensführung.
Allerdings ist besonders darauf zu achten, dass man sich keine Einschränkungen auferlegt, die die Lebensqualität zusätzlich beeinträchtigen, begrenzt wirksam sind und ohnehin nicht länger durchgehalten werden.
Aufgrund der Wirkstärke ist die Migräne ganz eindeutig eine Domäne der medikamentösen Therapie. Eine strukturierte medikamentöse Therapie sowohl der Migräneattacke, als auch eine vorbeugende Therapie, kann die Lebensqualtät wesentlich verbessern.
Nichtsteroidale Antirheumatika und Analgetika sind weiterhin die Mittel der ersten Wahl zur Therapie der Migräneattacke.
Sollten diese Medikamente nicht ausreichen, stehen spezifische Migränemittel zur Verfügung, die Triptane, Ditane und Gepante.
Egal welches Kopfschmerzmittel, oder Migränemittel eingesetzt wird, gilt es einige Dinge zu beachten.
Erstens ist die Wirksamkeit umso besser, je früher in der Attacke das Mittel genommen wird. Wenn Menschen, wie das meist der Fall ist, schon früh wissen, dass das, was sie gerade spüren, zu einem Migräneanfall wird, ist der beste Zeitpunkt das Schmerzmittel einzunehmen.
Zweitens ist die Dosis ausreichend hoch zu wählen. Es ist nicht sinnvoll über den Tag hinweg mittels Einnahme mehrerer geringer Dosen gerade das Schlimmste zu verhindern. Vielmehr ist es sinnvoll, die beginnende Migräneattacke zu durchbrechen. Oft werden zwei handelsübliche Tabletten eines Präparates die richtige Anfangsdosierung sein. Bei den Triptanen ist es im Allgemeinen eine Tablette, zwei können aber nach Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt sinnvoll sein.
Drittens ist die Entwicklung eines Medikamentenübergebrauchskopfschmerzes durch die Einnahme von Schmerzmitteln oder Triptanen an zu vielen Tagen zu vermeiden. Ich schreibe absichtlich „an zu vielen Tagen“. Es kommt nämlich nicht auf die Anzahl der Tabletten (also die Höhe der Dosis), sondern auf die Anzahl der Tage, an denen sie genommen werden an. Also besteht kein Widerspruch zum Punkt zwei „ausreichend hohe Dosierung“.
Der Medikamentenübergebrauchskopfschmerz ist eine Zunahme der Kopfschmerzhäufigkeit, durch Einnahme von Kopfschmerzmitteln über einen längeren Zeitraum (länger als drei Monate) an zuvielen Tagen des Monats. Oft besteht dabei ein dauernder mäßiger Kopfschmerz, der von starken Kopfschmerzen, also typischen Migräneattacken überlagert wird, oder es entwickelt sich das Bild der chronischen Migräne.
Die Schwelle ab der man an so eine Entwicklung denken muss, liegt bei Triptanen bei 10, bei anderen Schmerzmitteln bei 15 Therapietagen im Monat.
Allgemein könnte man pragmatisch dazu raten, wenn man wenige Kopfschmerztage im Monat hat und diese mit einem banalen Schmerzmittel gut behandelt werden können, kann man das getrost auch so machen. Wenn der Therapieerfolg im Einzelfall nicht exzellent ist (Schmerzfreiheit), oder es mehr als 2 bis 3 Tage im Monat zu Kopfschmerzen kommt, oder es zu einer Zunahme der Schmerzen kommt, wäre es sinnvoll einen Arzt (Neurologen) zu konsultieren. Oft ist auch mit einfachen Methoden durch ein strukturiertes Vorgehen eine wesentliche Besserung zu erreichen.
Wie oben schon angeführt sind NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika) und die Analgetika Paracetamol und Metamizol, sowie ein Mischpräparat aus Paracetamol, Acetylsalicylsäure und Coffein geeignete Medikamente in der Behandlung der akuten Migräneattacke.
Wenn eines dieser Medikamente gut wirksam ist, d.h. innerhalb von längstens zwei Stunden den Kopfschmerz weitgehend reduziert und keine nennenswerten Nebenwirkungen zeigt, ist im individuellen Fall bereits die Therapie der Wahl gefunden.
Wie oben schon gesagt, ist dann vor allem darauf zu achten, dass frühzeitig in der Attacke eine wirksame (also ausreichend hohe Dosierung) genommen wird.
Wenn die Häufigkeit der Attacken gering ist, (also z.B. seltener als zweimal wöchentlich) ist bei sonst gesunden Menschen auch die Gefahr von schweren Nebenwirkungen zu vernachlässigen.
Acetylsalicylsäure ist ein altbewährtes, also vor allem bewährtes Medikament, das in der Migränetherapie des Erwachsenen noch immer ein Medikament der ersten Wahl ist. Auf persönliche Unverträglichkeiten ist zu achten. Weiters können Nebenwirkungen vor allem auf den Magen (Gastritis, Magengeschwür, Magenblutung) vorkommen. Bei der Häufigkeit der Einnahme, wie sie bei einer durchschnittlichen Migräne sinnvoll ist, können diese Nebenwirkungen aber bei sonst gesunden Erwachsenen vernachlässigt werden.
Wichtig ist, auf die wirksame Dosis zu achten. Für die Einzeldosis bei der Migräne sind mindestens 1000 mg vorgesehen. Das entspricht bei den meisten erhältlichen Präparaten zumindest 2 Tabletten. Die Maximaldosis von 3000 mg an einem Tag sollte nicht überschritten werden.
Ebenfalls ein bewährtes Medikament, dessen Wirksamkeit bei Migräne gut in Studien bewiesen ist. Für Ibuprofen liegt die Empfehlung für die Einzeldosis bei 400/600 mg.
Die Verwendung von Dexibuprofen (Seractil(R)) ist in Österreich weit verbreitet. Auch ich verschreibe es gerne mit guter Erfahrung. Als Erstdosis empfehle ich 400 mg Dexibuprofen, bis zu drei mal täglich.
Diclofenac ist uns zwar in erster Linie von der Therapie von Schmerzen des Bewegungsapparates mit entzündlicher Komponente bekannt, wirkt aber auch in der Kopfschmerz- und Migränetherapie gut.
Die Einzeldosis beträgt 50 bis 100 mg. Die Tagesmaximaldosis sollte 150 mg nicht überschreiten.
Nebenwirkungen und Sicherheitsbedenken sind im Wesentlichen die gleichen wie für andere NSAR, also wie oben beschrieben.
Zusätzlich wird bei Diclofenac die Problematik der Schädlichkeit bei Herzerkrankungen betont. Bei über 65 jährigen liegt eine relative Kontraindikation wegen dieser Bedenken vor.
Naproxen findet in Leitlinien besonders in der Kombination mit Triptanen Erwähnung, um die Wirksamkeit der Triptane zu verstärken und um die Wirkdauer zu verlängern und so den Wiederkehrkopfschmerz hintan zu halten. Natürlich ist es auch in der Monotherapie der Migräne sinnvoll und empfehlenswert.
Dies Kombinationspräparate sind sinnvoll und gut wirksam. Die wirksame Dosierung sind meistens 2 Tabletten.
Metamizol (Novalgin(R)) ist ein gut wirksames Analgetikum und so auch in der Behandlung der Migräne bewährt. Von der Studienlage und der Empfehlung in Leitlinien, wird es vor allem dann gegeben, wenn Kontraindikationen gegen NSAR bestehen. Die Startdosis beträgt 1000 mg, also zwei Tabletten. Da die Wirkdauer eher gering ist, ist oft eine wiederholte Gabe nötig und auch gefahrlos möglich (4 bis maximal 6 Stück an einem Tag).
Metamizol kann wegen eines anderen Wirkmechanismus in der Schmerztherapie sinnvoll mit einem NSAR kombiniert werden. In der Migränetherapie würde man aber bei einer Unwirksamkeit einer Monotherapie mit NSAR oder Metamizol wohl eher ein Triptan verwenden.
Paracetamol ist ebenfalls möglich in der Therapie der Migräne. Es hat eine Tradition in der Schwangerschaft und bei Kindern. Die Evidenz ist aber nicht so gut und es hat den Ruf, schwächer wirksam zu sein, als etwa NSAR.
Es gibt aber eine Anzahl von Patienten, die damit zufrieden sind und dann spricht nichts gegen die Anwendung von Paracetamol. Eine Lebertoxizität ist vor allem bei hoher Dosierung zu beachten.
Triptane sind bei mittelschweren bis schweren Migräneattacken angezeigt, vor allem, wenn mit einem herkömlichen Schmerzmittel oder NSAR keine ausreichende Schmerzlinderung erreicht wird.
Sie wirken über den Serotoninrezeptor, nämlich über den 5HT 1B/1D, eventuell zusätzlich über den 5 HT 1F Rezeptor. Über diesen Angriffspunkt wird die Ausschüttung von schmerzmediierenden Substanzen (Substanz P, CGRP), die Eweiterung von Gefäßen und die Ausbreitung der migränetypischen Veränderungen über die Hirnrinde verringert.
Die Triptane unterscheiden sich etwas in ihrer Wirksamkeit, der Dauer bis zum Eintreten der Wirkung und der Wirksamkeitsdauer. Es gibt ein individuell unterschiedliches Ansprechen auf Triptane. Daher ist es sinnvoll bei unzureichender Wirkung einer Substanz eine andere zu probieren.
Je früher in der Attacke Triptane eingesetzt werden, um so besser ist die Wirksamkeit.
Triptane sind nicht gegen die Aura wirksam. Aus theoretischen Bedenken sollen sie auch nicht bei Beginn der Aura, sondern erst nach deren Abklingen verwendet werden. Dieser Zeitpunkt ist bei der typischen Migräneattacke mit Aura auch ungefähr der Zeitpunkt, zu dem der Kopfschmerz beginnt.
Da Triptane der Gefäßerweiterung im Migräneanfall entgegenwirken, hat man Bedenken sie bei hohem Blutdruck und koronarer Herzkrankheit (Verkalkung und Verengung der Herzkranzgefäße) einzusetzen. In der Praxis spielt dieses Problem aber eigentlich kaum eine Rolle.
Sumatriptan war das erste Triptan, das auf den Markt kam. Es ist also eine sehr bewährte Substanz. Immer noch große Bedeutung hat es, weil es als subcutan anzuwendendes Präparat erhältlich ist und in manchen Situationen daher Vorteile bietet.
Eletriptan gilt als das am stärksten wirksame Triptan, mit ausgezeichnetem Nebenwirkungsprofil.
Frovatriptan hat die längste Halbwertszeit. Es wird vor allem beim Wiederkehrkopfschmerz und bei der Kurzzeitprophylaxe in klar definierten Situationen, besonders der menstruationsgebundenenen Migräne eingesetzt.
Gut wirksames Triptan, das auch als Nasenspray verfügbar ist, was in gewissen Situationen von Vorteil sein kann.
Diptane sind Medikamente, die selektiv am 5-Hydroxytryptamin 1F (5-HT 1F) Rezeptor agonistisch angreifen.
Da bei den Triptanen auch eine, einer Gefäßerweiterung entgegengesetzte Wirkung über den 5-HT 1B/1D Rezeptor besteht, gibt es Bedenken gegen den Einsatz bei kardiovaskulären Risikofaktoren, insbesondere bei koronarer Herzkrankheit. Diese theoretischen Bedenken haben sich zwar in der Praxis als wenig relevant erwiesen, haben aber ein Einsatzgebiet von Diptanen, die diesen Mechanismus nicht aufweisen, eröffnet.
Derzeit ist in der EU Lasmiditan (Rayvow(R)) zugelassen.
Aus Studienergebnissen kann eine ähnlich gute Wirksamkeit zur Koupierung von Migräneanfällen erwartet werden, wie bei Triptanen (keine direkten Vergleichsstudien).
Der Vorteil gegenüber Triptanen ist, dass keine negative Wirksamkeit auf das cardiovaskuläre System zu erwarten ist.
Medikamentenübergebrauchskopfschmerz bei zu häufiger Anwendung könnte auftreten.
Bei schweren Leberfunktionsstörungen ist Lasmiditan kontraindiziert.
8 Stunden nach der Einnahme soll auf das Lenken eines KFZ verzichtet werden und auch sonst keine Tätigkeit ausgeübt werden, die erhöhte Aufmerksamkeit erfordert.
Gepante sind Antagonisten des Calcitonin-Gene-Related-Peptide (CGRP) und analgetisch wirksam.
Sie können sowohl in der Therapie des akuten Migräneanfalls, als auch in der Prophylaxe angewandt werden.
Derzeit ist ein Gepant, nämlich Rimegepant (Vydural(R)) in der EU zugelassen.
Eine Häufung der Migräneattacken, schwere, nicht gut behandelbare Attacken und häufiger Bedarf an Akutmedikamenten stellen Gründe dar an eine vorbeugende Behandlung der Migräne (Prophylaxe) zu denken.
Eine Faustregel für den Behandler, wann eine Prophylaxe vorgeschalgen werden sollte, ist bei mehr als 3 Attacken im Monat. Die Entscheidung ist aber individuell.
Für eine medikamentöse Migräneprophylaxe spricht die in ungefähr 50% der Patienten erreichbare Reduktion der Attackenfrequenz um ungefähr 50%. Es macht schon etwas aus, ob man z.B. 8 mal monatlich, oder nur 4 mal monatlich einen Migräneanfall hat. Zudem sind die verbleibenden Attacken oft weniger stark und aus eigener Beobachtung auch wieder besser medikamentös behandelbar. Dieses auf den ersten Blick auf die Zahlen nur moderate Ansprechen, kann in der Praxis im günstigsten Fall in Summe einen Unterschied in der Lebensqualität von sehr schlecht auf kaum beeinträchtigt, also sehr gut ausmachen.
Leider ist das Ansprechen aber eben nicht bei allen Patienten gegeben. Die Erkrankung wird dadurch nicht völlig geheilt und Nebenwirkungen sind möglich.
Es stehen aber meherere Medikamente zur Verfügung. Damit ist auch eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität durch eine medikamentöse Migräneprophylaxe bei den meisten Patienten möglich.
Da es sich um einen Langzeiterfolg handelt und es schon im Spontanverlauf der Migräne zu Fluktuationen kommt, ist das Führen eines Kopfschmerzkalenders eine sinnvolle Voraussetzung zur Beurteilung des Therapieerfolges.
Man kann sich ziemlich genau daran erinnern, ob ein Migränemittel in der Therapie einer Attacke geholfen hat. Dafür braucht man keinen Kopfschmerzkalender. Aber es ist nicht so leicht nach z.B. drei Monaten noch sicher zu sagen, ob die Attackenfrequenz deutlich geringer geworden ist. Ohne Kopfschmerzkalender kommt es da oft zu fehlerhaften Erinnerungen und damit wird eine Adaptation, oder Fortführung der Therapie manchmal zur Glückssache. Also zumindest in den drei Monaten vor und nach Beginn der Prophylaxe und vor und nach geplanten Adaptationen, oder Auslassversuchen einen Kopfschmerzkalender führen.
Traditionell und gut wissenschaftlich abgesichert werden folgende Medikamente zur Prophylaxe der Migräne verwendet:
Betablocker (vor allem Metoprolol, Propanolol und Bisoprolol), Flunarizin, Topiramat, Valproinsäure, Amitryptilin und für die chronische Migräne Onabotulinumtoxin A.
Neuere sehr gut wirksame und exzellent verträgliche Substanzen, die als subcutane Injektion zur Verfügung stehen und je nach Präparat nur alle 4 Wochen, oder noch seltener injiziert werden müssen, sind die Antikörper gegen „calcitonin gene related peptide“ (CGRP) oder dessen Rezeptor.
Bisoprolol 5 – 20 mg, Propanolol 4 – 240 mg und Metoprolol 50 – 200 mg sind in der Praxis sehr gut verträglich.
Mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Hypotonie, Schlafstörungen, Schwindel und erektile Dysfuntkion. Auf Wirkungen auf des Herz-Kreislaufsystem ist zu achten (AV-Block, Bradycardie, Sick-Sinus Syndrom)
Recht häufig ergibt sich in der Praxis die Situation, dass Menschen, die an Migräne leiden schon einen niedrigen Blutdruck haben. Da gibt es theortetische Bedenken gegen die Anwendung von Beta-Blockern. Allerdings senken die eher erhöhten Blutdruck und haben nicht so einen regelmäßigen und ausgeprägten Effekt auf ohnehin schon niedrigen Blutdruck. Somit können diese gut wirksamen und nebenwirkungsarmen Medikamente auch bei Patienten mit niedrigem Blutdruck mit einschleichender Dosierung vorsichtig versucht werden und sind oft auch in dieser Situation gut einsetzbar.
Dosierung 5 – 10 mg, gut wirksam und gut verträglich.
Mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Gewichtszunahme, Depressionen und eine parkinsonähnliche Symptomatik.
In der Schwangerschaft und Stillzeit, bei bestehenden Depressionen soll es vorsichtshalber nicht verwendet werden.
Dosierung 50 – 75 mg, ist ein sogenanntes tricyclisches Antidepressivum, das insbesondere bei gleichzeitig bestehender Neigung zu Depressionen eingesetzt werden sollte. Abends eingenommen kann es auch den Schlaf verbessern.
Mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Mundtrockenheit, Gewichtszunahme. Vorsicht ist bei grünem Star, gewissen EKG-Veränderungen und einer vergrößerten Prostata geboten.
Dosierung 500 – 1000 mg ist ein Antiepileptikum, das auch in anderen Indikationen, so auch für die Migräneprphylaxe eingesetzt wird.
Schwindel, Müdigkeit, Gewichtszunahme und Tremor sind Nebenwirkungen. Besonders ist aber auf Probleme in der Schwanagerschaft (Neuralrohrschlußdefekte, verzögerte kognitive Entwicklung des Kindes) zu achten. Eine Schwangerschaft während der Einnahme muss somit sicher ausgeschlossen werden, was den Einsatz dieses Medikamentes stark limitiert.
Dosierung 25 – 100 mg (Dosierung eineschleichend mit 2×25 mg beginnend) ist ebenfalls ein Antiepileptikum. Eine Wirksamkeit wurde auch bei Medikamentenübergebrauchskopfschmerz gezeigt.
Topiramat führt eher zu Gewichstsabnahme, und darf bei Nierensteinen nicht verwendet werden. Meist ist es gut verträglich, kognitive Störungen, Müdigkeit, Parästhesien, Nierensteine, Depresson, Psychosen und Geschmacksveränderungen kommen aber vor.
Diese neueren Medikamente müssen nur einmal alle 28 Tage bis 3 Monate suncutan (unter die Haut) injiziert werden. Das ist einfach und kann von den Patienten selbst durchgeführt werden.
Die Nebenwirkungsrate liegt auf Placeboniveau.
Aus theoretischen Überlegungen gibt es aber folgende Kontraindikationen und Warnhinweise:
Cardiovaskuläre Erkrankungen, Cerebrovaskuläre Erkrankungen, pAVK, Schwangerschaft und Stillperiode (ggf. Kontrazeption), entzündliche Darmerkrankungen, COPD, pulmonale Hypertension, M. Raynaud, Transplantatempfänger.
Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor (Eenumab (Aimoivg(R))) und Antikörper gegen CGRP (Fremeanezumab (Ajovi(R), Galcanecumab (Emgality(R)) sind gegen episodische Migräne und auch gegen chronische Migräne wirksam. Als Schwelle für die Wirksamkeit wird eine Reduktion der Migränetage um 50% festgelegt.
Sie können dann eingesetzt werden, wenn mindestens 4 Migränetage pro Monat durch einen Kopfschmerzkalender dokumentiert sind, wenn mindestens 3 Migräneprophylaxeversuche mit den oben angegebenen Medikamenten nicht ausreichend wirksam waren, wegen Nebenwirkungen nicht erfolgreich waren, oder wegen Kontraiindikationen nicht möglich waren.
Eine Weitereführung der Therapie mit monoklonalen AK gegen CGRP oder gegen den CGRP-Rezeptor darf nur bei ausreichendem Erfolg erfolgen, der nach 3 Monaten und regelmäßig im Verlauf dokumentiert werden muss.
Ein Auslassversuch sollte nach 3 bis 9 Monaten erfolgen. Dies ist eine Vorgabe der Krankenversicherung, hat aber auch eine rationale Begründung. Durch den fluktuierenden Verlauf der Migräne kann in einer relativ günstigen Phase die Weiterbehandlung eventuell nicht mehr notwendig sein. Außerdem kann durch seltenere „Überreizung des trigeminovaskulären Systems“ durch die Therapie eventuell auch dadurch eine Phase der Entspannung eintreten und daher die Therapie nicht mehr nötig sein.
Aus meiner Sicht sind diese Medikamente ein großer Durchbruch in der Migränetherapie. Zwar sind die oben angeführten oral verabreichten Medikamente auch gut wirksam. Aber die Therapietreue ist bei den monklonalen AK, die nur einmal monatlich bis einmal alle 3 Monate verabreichtt werden, sehr gut. Die Wirksamkeit könnte noch besser sein, als die der traditionellen Medikamente und die Nebenwirkungsrate ist hervorragend.
Gepante sind Antagonisten am CGRP Rezeptor, die oral eingenommen werden. Im Unterschied zu den an der gleichen Stelle ansetzenden Monoklonalen Antikörpern, ist die Anwendung der Gepante sowohl in der Akuttherapie, als auch für die Prophylaxe der Migräne möglich.
Rimegepant ist in der Prophylaxe der episodischen Migräne wirksam und zugelassen. Es wird eingesetzt, wenn die „klassischen“ Migräneprophylaktika nicht wirksam sind, nicht vertragen wurden, oder wenn Kontraindikationen bestehen.
Rimegepant ist gut verträglich.
Eine praktikable Anwendung in der Prophylaxe ist „jeden 2. Tag 75 mg oral einnehmen und bei Bedarf“. Dabei ist in den USA eine Beschränkung auf 18 Einnahmen pro Monat vorgegeben.