Therapie der Abhängigkeit von Mitragyna speciosa/Kratom
Therapie der Abhängigkeit von Mitragyna speciosa/Kratom
Ein bisher ungelöstes Problem aus therapeutischer Sicht ist, dass es keine Leitlinien für die Behandlung der Abhängigkeit von Mitragyna speciosa/Kratom gibt. Es gibt nicht einmal die offizielle Diagnose einer Abhängigkeit von dieser Pflanze, oder ein dafür zugelassenes Medikament. Somit ist jede Behandlung ein individueller Heilversuch.
Da der Wirkmechanismus und der Abhängigkeitsmechanismus von Mitragyna speciosa/Kratom offensichtlich opioidartig ist, würde sich eine Ersatztherapie mit einem Opioid anbieten.
Bei Patienten, die zum Zwecke des Opioidersatzes, bei bereits bestehender Opioidabhängigkeit Mitragyna speciosa/Kratom verwendeten, wird man die Opioidabhängigkeit mit der indizierten oralen Opioidsubstitutionstherapie behandeln können. Damit sollte dann auch die Beendigung des Konsums von Mitragyna speciosa/Kratom möglich sein. Dieses Vorgehen wurde auch schon beschrieben. (1,2,3)
Bei opioidnaiven Patienten, die eine Abhängigkeit von Mitragyna speciosa/Kratom entwickelten, ist die Frage der Behandlung aber schwierig zu beantworten.
Wie gesagt, würde sich eine orale Opioidersatztherapie theoretisch anbieten. Ich sehe dabei aber zwei ernsthafte Probleme:
Die in Frage kommenden Medikamente sind Opioide und haben selbst ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Bei der oralen Opioidsubstitutinstherapie nimmt man das in Kauf, da die Opioidabhängigkeit ja bereits die Voraussetzung für die Therapie ist, also kein zusätzlicher Schaden entsteht.
Es gibt keine gesicherte Aussage dazu, wie die Abhängigkeit von Mitragyna speciosa/Kratom ohne, oder mit einer anderen Therapie verlaufen würde, bzw. ob dauerhafte Abstinenz zu erreichen ist.
Somit besteht die Gefahr, Menschen durch diesen Heilversuch opioidabhängig zu machen, obwohl vorher vielleicht diese Opioidabhängigkeit gar nicht in dem Ausmaß bestanden hat.
Das ist an sich schon ein tatsächliches Problem. Verkompliziert und für den Behandler noch heikler wird die Situation durch die Erfahrung, dass gelegentlich auch sicher vorher opioidabhängige Menschen im Rückblick erst mit der oralen Substitutionsbehandlung den Beginn einer echten, schweren Abhängigkeit in Verbindung bringen, während sie ihr früheres Konsumverhalten retrospektiv als nur gelegentlichen Konsum beurteilen. Während solche Vorhaltungen durch den Behandler im Falle der Opioidabhängigkeit zumindest mit einer guten Dokumentation der Anamnese zu entkräften ist, müsste ein solcher Vorwurf, im Falle einer Abhängigkeit von Mitragyna speciosa/Kratom ohne klare Antwort bleiben.
Immerhin ist es eindeutig, dass die Inhaltsstoffe von Mitragyna speciosa/Kratom potente Liganden an Opioidrezeptoren sind. Allerdings ist die genaue Wirkung noch nicht endgültig verstanden. Sie ist teilweise opioidartig, aber nicht identisch. Das begründet die Bezeichnung für die Indolalkaloide von Mitragyna speciosa/Kratom als „atypische Opioide“.
Es wäre möglich, dass aufgrund dieser Tatsache opioidartig wirksame Arzneimittel ohne die wesentlichen Opioidnebenwirkungen (Atemdepression, Verstopfung, Sedierung) entwickelt werden könnten. Andererseits unterstreicht dieses von den Opioiden unterschiedliche pharmakologische Verhalten auch für die Praxis, dass man nicht ohne Weiteres die beiden Substanzklassen gleich beurteilen und austauschen kann.
Während man sehr schwer beim opioidnaiven Patienten mit einer Abhängigkeit von Miragyna speciosa/Kratom eine eigentliche zeitlich unbegrenzte orale Opioidersatztherapie arguemntieren kann, ist die Behandlung von opioidartigen Entzugserscheinung, wenn auch „off label“ sicher indiziert. Wieder kommen vor allem orale opioidartige Substanzen mit dem klaren Ziel der kurzzeitigen Anwendung in Frage.
Hier ist die große Unsicherheit, was man tun soll, wenn der Patient letztlich doch keine dauerhafte Abstinenz erreicht. Es besteht also die Möglichkeit über den Versuch der gut wirksamen opioidartigen Entzugstherapie in die Notwendigkeit der daurhaften Drogenersatztherapie zu kommen. Wie oben dargestellt, könnte das bedeuten, dass ein weniger stark Abhängigkeit erzeugendes Mittel durch ein jedenfalls stark Abhängigkeit erzeugendes Mittel, nämlich ein in der oralen Opioidersatztherapie etabliertes Medikament, ersetzt wird.
Literatur
(1) Eastlack SC, Cornett EM, Kaye AD. Kratom-Pharmacology, Clinical Implications, and Outlook: A Comprehensive Review. Pain Ther. 2020;9(1):55-69. doi:10.1007/s40122-020-00151-x
(2) Agapoff, J. R., & Kilaru, U. (2019). Outpatient buprenorphine induction and maintenance treatment for kratom dependence: a case study. Journal of Substance Use, 24(6), 575-577.
(3)Khazaeli A, Jerry JM, Vazirian M. Treatment of Kratom Withdrawal and Addiction With Buprenorphine. J Addict Med. 2018 Nov/Dec;12(6):493-495. doi: 10.1097/ADM.0000000000000435. PMID: 30383616.