Mitragyna speciosa/Kratom ist ein aus Südostasien stammender Baum aus der Familie der Rubiaceae/Rötegewächse. (Zu dieser Familie gehören übrigens auch unsere Laabkräuter oder der Kaffeestrauch.)
Ich wurde auf die Pflanze durch die Berichte von bisher drei Patienten aufmerksam. Zwei davon hatten Kratom als vermeintliches Mittel gegen ihre mehr oder weniger stark ausgeprägte Opiatabhängigkeit verwendet. Der dritte Patient hatte Kratom aus allgemeinem Interesse und zum Zweck der Leistungssteigerung, der Beruhigung und zur allgemeinen Steigerung des Wohlbefindens versucht. Auch beim dritten Patienten bestand eine Abhängigkeitsanamnese, allerdings von Alkohol. Zum Zeitpunkt des Beginns des Konsums von Kratom war er allerdings bezüglich Alkohol abstinent. Er wollte auch eine gewisse Neigung zu Angst und Panikattacken bekämpfen und den Bedarf an einem synthetschen Beruhigungsmittel reduzieren. Besonders erstaunlich ist, dass dieser Patient früher auch eine Psychose ausgelöst durch Cannabiskonsum erleben musste und somit am eigenen Leib die Problematik des Konsums psychotroper Pflanzen erfahren hatte.
Ich bin immer wieder erstaunt darüber, mit welcher Naivität manche Menschen solche extrem gefährlichen Selbstversuche wagen. Oft sind es Menschen, die synthetischen Medikamenten, die ausgezeichnet untersucht und sicher sind, oder deren Risikopotenzial sehr genau bekannt ist, sehr kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, aber unkritisch pflanzliche Produkte zu sich nehmen. Auch in diesen drei Fällen war das der Fall.
Alle drei Patienten suchten mich erst auf, als sie selbst mit den Problemen des Entzuges von Kratom nicht mehr zurecht kamen.
Einer der drei Patienten ist inzwischen in oraler Opiatsubstitutionstherapie. Der Zweite war einige Zeit in oraler Opiatsubstitutionstherapie, ist aber inzwischen bezüglich der Opiate abstinent, benötigt aber andere Medikamente. Der dritte Kratomkonsument konnte inzwischen die Dosis von Kratom reduzieren, es geht ihm aber durchaus nicht gut und er benötigt die Unterstützung durch Psychopharmaka.
Alle drei Patienten berichteten davon, dass Kratom anfangs durchaus angenehm entspannend wirkte. Alle drei bemerkten aber recht rasch eine Abhängigkeit, hatten eine erhebliche Entzugssymptomatik beim Versuch der Abstinenz entwickelt und bereuen es aus heutiger Sicht, mit dem Konsum der Pflanze begonnen zu haben.
Anamese 38 jähriger Mann, moderat übergewichtig, Zustand nach bariatrischer Operation (Magenoperation zum Zweck der Gewichstabnahme), psychotische Episode nach Cannabiskonsum, Zustand nach Alkholabhängigkeitssyndrom, ggw. abstinent. Einnahme von Praxiten (R) (Beruhigungsmittel) in stabiler niedriger Dosierung.
Die Motivation Mitrogyna speciosa/Kratom einzunehmen war die Hoffnung Praxiten(R) absetzten zu können, da Kratom beruhigend wirken sollte, erhöhtes Wohlbefinden, allgemeine Leistungssteigerung und Gewicht abzunehmen.
Kratom kauft er legal in einem Shop in Wien als Blattpulver. Er nimmt es löffelweise ein und spült mit Wasser nach. Der Geschmack ist bitter und grauslich. Die maximale Doierung habe 15 Löffel/Tag, was ungefähr 50 g entspreche betragen, derzeit nehme er fünfeinhalb Löffel/Tag, was ungefähr 20 g entspreche.
Die Wirkung wird als beruhigend und leicht stimmungsverbessernd beschrieben, außerdem tritt Appetitlosigkeit ein. In den 3 Monaten seit der Einnahme habe er 10 bis 12 kg abgenommen.
Es seien keine Halluzinationen (Sinnestäuschungen) aufgetreten, allerdings illusionäre Verkennungen, Anmutungserlebnisse.
Beim Versuch des Absetzens von Kratom sei eine starke depressive Verstimmung, starke Ängste und Zittern aufgetreten.
Er nimmt derzeit, wie oben schon erwähnt etwa 20 g täglich. Die Dosisreduktion hat zur Notwendigkeit zur Unterstützung mittels Psychopharmaka geführt. Mangels etablierter Therapiemethoden wird symptomatisch behandelt. Unter der Therapie ist der Patient soweit stabil, dass er seine Ausbildung im sozialen Bereich absolvieren kann.
Rückblickend beurteilt er die Einnahme von Mitragyna speciosa/Kratom eindeutig als Fehler.
Anamnese 42 jähriger Mann, groß sehr schlank, starkt tätowiert, von Beruf Tätowierer. Vorerkrankung ADHS, diverse Drogenerfahrungen, zeitweise Übergebrauch von Alkohol. Drogen wurden vor allem auch dazu verwendet, um mit seinen durch das ADHS verursachten Defizite besser umgehen zu können und arbeitsfähig zu sein.
Die Motivation Mitragyna speciosa/Kratom zu benutzen war, eine Abhängigkeit von Opiaten zu bekämpfen, bzw. ohne Opiate auskommen zu können.
Er bezog Mitragyna speciosa/Kratom von dem gleichen Shop in Wien, wie der andere Patient.
Die Wirkung wird so beschrieben, dass er sich allgmein wohler gefühlt hätte, gestärkt und gefestigt. Die Wirkung sei schmerzlindernd, angstlösend, motivierend (positiv antriebssteigernd). Die antriebssteigernde Wirkung wäre bei den Blättern mit hellen Blattnerven mehr gegeben.
Wenn bei Cannabiskonsum Angst entstünde, würde Kratomkonsum dieser Angst entgegenwirken.
Änhlich wie der Konsum von Opiaten würde eine entspannende Wirkung eintreten. Allerdings mache der Konsum von Kratom „mehr Spaß als Opiate..“ damit meint er, dass er Opiate als sedierend, dämpfend empfand, was bei Kratom nicht der Fall war. Jedenfalls sei Kratom nicht halluzinogen.
Das Absetzen von Kratom habe den Wunsch nach Opiaten wieder massiv gesteigert. Obwohl die Wirkungen von Kratom angenehm empfunden wurde, war die Gesamtbeurteilung negativ. Also der Konsum von Kratom hatte insgesamt keine Vorteile gebracht.
Mich suchte der Patient erstmals bei dem Wunsch Kratom abzusetzen wegen Suchtdruck (Craving) in Bezug auf Opiatkonsum auf. Er war darauf hin kurzfristig in einer oralean Opiatsubstitution mit Buprenorphin, konnte aber diesbezüglich rasch Abstinenz erreichen. Weiterhin werden in eher geringem Ausmaß verschiedene psychotrope Substanzen konsumiert und eine stabile Therapie mit Psychopharmaka ist nötig.
Von diesem Patienten erfuhr ich auch, dass angeblich der Kauf von Kratom in dem genannten Shop sehr gut floriere und insbesondere auch sehr junge Konsumenten dabei wären.
Anamnese: 26 jähriger Patient, Posttraumatische Belastungsstörung, ADHS
Auch dieser Patient versuchte Mitragyna speciosa/Kratom als Opiatersatz. Er hatte immer wieder verschiedene psychotrope Substanzen versucht, um seine psychiatrische Störung positiv zu beeinflussen. Er stand bereits früher in oraler Opioidersatztherapie, war aber diesbezüglich abstinent. In Belastungssituationen griff er aber zu Opiaten und auch zu Kratom, um nicht Opiate zu verwenden. Inzwischen steht er wieder in oraler Opioidersatztherapie. Ich habe ihn derzeit aus den Augen verloren, da er mangels Versicherungsschuzt nicht bei mir, sondern von der Suchthilfe Wien behandelt wird.
Auch bei ihm war der Wunsch auf Opiate zu verzichten aber eine ähnliche Wirkung mit einem legalen Mittel zu erzielen, ausschlaggebend. Auch bei ihm war die Strategie nicht erfolgreich.
Natürlich ist die Anamnese von nur drei Patienten nur bedingt aussagekräftig. Aber die Übereinstimmungen sind schon bemerkenswert.
Ich schließe aus den Berichten dieser drei Patienten, dass Mitragyna speciosa/Kratom eine wirksame Substanz ist. Das Wirkungsspektrum dürfte Schmerzlinderung, Angstlösung, leichte Stimmungsaufhellung umfassen und während des Konsums zu gesteigertem Wohlbefinden, allgemeiner „Stärkung“ und „Festigung“ führen. Allerdings dürfte ein erhebliches Suchtpotenzial bestehen und es kommt zu Entzugssymptomen. Deshalb ist die Anwendung in dem von mir beobachteten Kontext eindeutig negativ zu bewerten. Von Probierkonsum, oder Versuchen einer Selbstheilung von psychischen Störungen mit Mitragyna speciosa/Kratom ist aufgrund der mir vorliegenden Berichte abzuraten.