Als ich zuletzt am Tulbinger Kogel war, gefiel mir der Raureif besonders und brachte mich auf die Idee ein Jahr lang den gleichen Weg jeweils zu den Solstitien (Sonnenwenden) und Äquinoktien (Tag- und Nachtgleichen) zu gehen. Da ich aber erst zu spät auf die Idee gekommen war und ich mir diesmal nicht exakt zum Soltitium, das dieses Jahr am 21. Dezember 2020 um 11 Uhr 02 stattfand, frei nehmen konnte, ging ich eben am Sonntag dem 20. Dezember.
Ungefähr wollen wir natürlich wissen, was ein Solstitium ist. Definitonen dafür gibt es ja je nach Standpunkt mehrere. Sie sagen jedenfalls ungefähr aus, dass zu diesem Zeitpunkt die Sonne von der Erde aus gesehen ihren jeweils nördlichsten bzw. südlichsten Punkt erreicht hat. Das ist der nördliche, bzw. südliche Wendekreis.
Wenn wir jetzt beim Wintersolstitium bleiben, hat das von der Erde aus gesehen die Konsequenz, dass die Schatten am längsten sind, der Tag am kürzesten, die Nacht am längsten und die Sonne zu Mittag am tiefsten steht.
Außerdem ist die Sonneneinstrahlung geringer. Insgesamt wird die Erde am Standpunkt am wenigsten aufgewärmt und es ist schon ziemlich kalt. Da die tatsächliche Temperatur aber natürlich von vielen verschiedenen Faktoren abhängt und der Tageslänge und dem Winkel der Sonnenstrahlen hinterherhinkt, kann es später im Jänner, oder Februar noch wesentlich kälter werden.
Der 20. Dezember 2020 jedenfalls war ein eher milder Tag, nicht besonders sonnig, aber auch nicht besonders trüb. In den Wochen davor war es kälter und nebeliger gewesen. Tagsüber erreichte die Temperatur immer ein paar Plusgrade, es hatte vor Wochen einmal kurz geschneit, seither viel genieselt und ein wenig geregnet. Alles war nass.
Alles in Allem war es nicht besonders einladend. Weder war es ein herrlicher Wintertag im Schnee, noch ein üppig sich entwickelnder Fühlingstag voll Leben mit all seinen Farben, Düften und Geräuschen, auch nicht ein ruhiger, heißer Sommertag oder ein Tag im farbenprächtigen frühen Herbst, in dem noch alles im Überfluss ist und man sich nicht bewusst ist, dass die reifenden Früchte schon den ersten Schritt zum Vergehen bedeuten. Nein, es war das Ende eines nassen, trüben Herbstes in dem schon so Vieles vergangen war. Ich musste anfangs das Auge erst daran gewöhnen, dass das neue Leben schon angelegt war und überall darauf wartete an die Oberfläche zu dringen.
Nach ein paar Metern auf der Straße wandte ich mich nach rechts in den Wald. Das Gestrüpp dort mag ich wegen des Hopfens, der Teil davon ist. Aber trotzdem ist es halt einfach ein zum großen Teil vertrocknetes Gestrüpp und darf wohl kaum darauf hoffen, als Foto Begeisterungsstürme hervorzurufen.
Da ich aber zur Dokumentation der Wirklichkeit unterwegs bin, geb ich nicht auf und dokumentiere das nächste „Gestrüpp“. Sambucus niger/schwarzer Hollunder, ohne Laub.
Aber ich habe noch keinen Spaziergang gemacht, an dem ich keine Wunder erlebt hätte und das erste ist schon vor meiner Nase. Das neue Leben zur Wintersonnenwende. Knospe am kahlen Sambuccus nigra/schwarzer Hollunder.
Weiter geht es zunächst eine Forststraße hinunter, dann durch ein steiles Stück Wald in Richtung eines Pferdehofes. Dieses Stück Wald ist bei der Nässe ziemlich gatschig und unangenehm zu begehen. Besonders heute, da relativ frische Spuren eines Fahrzeugs den rutschigen Lehm an die Oberfläche gebracht haben.
Und schon erweckt das nächste „Gestrüpp“ mein echtes Interesse.
Und wieder möchte ich ein Laubmoos näher kennen lernen. Wie sehr bedauere ich, dass ich mich mit Moosen nicht gut genug auskenne. Jedenfalls ist es wunderbar saftiges Grün, mitten im Winter.
Das nächste Bild zeigt nicht zwei Vogelköpfe aus Muranoglas sondern zwei Sporenkapseln/Sporangien des oben abgebildeten Mooses.
Schon lasse ich die lehmige Rutschpartie hinter mir und freue mich über die gemütliche Waldstimmung und ein ebenes von rotbraunem Laub bedecktes Wegstück.
Bald komme ich zu einer Eiche dessen Parasit Phellinus igniarius/Feuerschwamm schon bei meinem letzten Spaziergang in der Gegend meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Da ich ja eigentlich immer auf der Suche nach medizinisch verwendbarem Material bin, war ich anfangs davon begeistert, weil ich ihn mit dem Chirurgenschwamm verwechselte. Der ist aber nich Phellinus igniarius/Feuerschwamm sonder Fomes fomentarius/Zunderschwamm. Dieser wurde früher als „Hämostypticum“/blutstillendes Mittel auf Wunden aufgebracht.
Nun, trotzdem freue ich mich über Phellinus igniarius/Feuerschwamm, der auch leicht mit Fomes fomentarius/Zunderschwamm verwechselt werden kann.
Weiter geht es durch den Pferdehof, der Weg tief morastig, durch Unterkirchbach entlang des Kaltwasserweges zum Weg 475 in Richtung Hainbuch. Schöner buchenbetonter Laubwald. Außer den Rotbuchen gibt es Hainbuchen, ein paar Eichen, Föhren und Lärchen, vereinzelt Birken und selten einmal eine Fichte.
Bald komme ich zu einem lichten Waldstück, Waldlichtung trifft schon nicht mehr ganz zu, in dem auch immer wieder längere Zeit das Wasser stehen bleibt und das ideale Bedingungen für große Artenvielfalt bietet. Auf kleinem Raum gibt es die erwähnte Nässe, es gibt Licht, und die Sonne kann auf den Großteil gut hinscheinen. So können fast nebeneinander auch eher trockenheits- und eher feuchtigkeitsliebende Pflanzen gedeihen. Ich mag dieses kleine Stück sehr gerne und weiß schon, dass ich da länter verweilen möchte.
Als ich mich im Bemühen um ein brauchbares Foto der Früchte der Flatterbinse an einen Baumstamm lehne übersehe ich zunächst und bemerke dann einen toten Salamandra salamandra/Feuersalamander.
Artenvielfalt und Gang des Lebens. Wie überwintern normaler Weise Feuersalamander? Ich möchte zwar lieber die Natur in ihrer Schönheit sammeln, aber zum neuen Leben gehört halt auch das Vergehen, der Tod.
Zum Teil noch frisches Grün, Ende Dezember. Die Brennessel hatte früher Bedeutung als Nahrungs- und Heilpflanze. Man kann sich schon vorstellen, dass ein bisschen Grün den Alten beim Überleben geholfen hat. In der heutigen Phytotherapie findet sie weniger Beachtung, wird aber z.B. als harntreibendes Mittel eingesetzt.
Da ich wusste, dass er hier wohnte, wollte ich mich nicht damit zufrieden zu geben, die Lichtung zu verlassen ohne ein Pflänzchen besucht zu haben, das ich irgendwie besonders mag. Lycopus europaeus/Uferwolfstrapp, der es gerne hat, wenn sein Habitat zeitweise sehr feucht, oder überschwemmt ist.
Auf dieser Steuobstwiese hinter dem Gasthof weiden normalerweise Rinder, die mich mit ihrem Anblick jedesmal erfreuen. Heute am 20. Dezember werden sie wohl im warmen Stall stehen.
Obwohl ich diesen Weg schon oft gegangen bin, habe ich den folgenden Baum noch gar nie wahrgenommen. Paulownia tomentosa/Blauglockenbaum war angeblich der Lieblingsbaum von Kaiser Franz Joseph und ist deshalb auf dem Gebiet der ehemaligen Donaumonarchie verbreitet, obwohl er eigentlich aus China stammt.
Zwei typische Kräuter der Wegränder des Wienerwaldes machen mir am Forstweg zum letzten Aufstieg auf den Tulbinger Kogel noch Freude. Das sind Stachys sylvatica/Waldziest und Salvia glutinosa/klebriger Salbei.
Vielleicht kann nicht jeder meine Freude nachempfinden, aber die typischen Fruchtstände und die herzförmigen Blätter erinnern mich einfach daran wie wunderschön rot die Blüte von Stachys sylvatica/Waldziest viel Monate im Jahr ist.
Nun geht es also das letzte Stückchen Weges hinauf auf den Tulbingerkogel. Leider werde ich wohl an diesem 20. Dezember 2020, an dem es für die Jahreszeit zu warm ist, keinen Raureif sehen. Kann man nichts machen.
Nach kurzem Anstieg frischt ein wenig der Wind auf und ich höre ein sanftes Prasseln, als ob gefrierender Regen fallen würde. Aber weder gefriert es, es ist ja viel zu warm, noch regnet es.
Und siehe da, schon sehe ich die ersten Bäume im Raureif, der sich im leichten Wind löst und zu Boden fällt.
Das nächste Wunder an diesem Tag. Wie kann es auf diesem Hügel bei den warmen Temperaturen Raureif geben?
Und schon das nächste Wunder.
Inzwischen ist es schon ganz schön spät geworden und ich schau einmal dazu, dass ich noch vor Einbruch der Finsternis heim komm.
Kurz bevor ich den steilen Aufstieg zur Straße hinauf geschafft habe, dokumentiere ich noch einmal die Stimmung im Wald.
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